Die Zeit vor 1911
Die Eingemeindung eines Teiles der Gemeinde Wessendorf
in die Stadt Stadtlohn im Jahre 1910
Von der Schlinge im Süden bis zur Berkel im Norden erstreckt
sich über rund sechs Kilometer Länge und 500 bis 1000 m Breite
auf einem leichten Höhenzug das fruchtbare Ackerland des
Lohner Esches. Seit dem Frühmittelalter war diese Ackerflur von
einem Ring von Bauernhöfen umgeben, der sich später in die
Bauerschaften Eschlohn, Hundewick und Wessendorf gliederte.
Ganz im Norden des Siedlungsraumes lag der bischöfliche Amtshof
zu Lohn, auf dessen Hofgrund Bischof Liudger um 800 n. Chr.
eine seiner ersten münsterländischen Pfarrgründungen vornahm
und sein späterer Nachfolger Bischof Werner um 1150 zum Schutze
der Kirche eine Burg anlegte.
Der Name „Wessendorf“ bürgerte sich für die Bauernhöfe ein, die
im Westen des Amtshofes, der Kirche und des sich entwickelnden
Kirchdorfes lagen. Er ist erst seit 1536 belegt und scheint sich mit
der Einführung der fürstbischöflichen Kirchspielsschatzung verfestigt
zu haben. Die Bauerschaft im Osten nannte man dementsprechend
„Estern“.
Mit der Erhebung des Dorfes Lohn bzw. Nordlohn zur „Stadt
Lohn“ in den Jahren 1388/89 wurde ein neuer Rechtsraum
geschaffen. Gleichzeitig griffen der Bau von Wall und Graben
sowie die Besiedlung der Stadt entlang der neuen Straßen Hagen-
, Johannes- und Neustraße in die gewachsenen bäuerlichen Siedlungsstrukturen.
So wurde der bischöfliche Amtshof zu Lohn vermutlich
in dieser Zeit als Schulzengut aufgelöst und seine Grundstücke
einzeln verpachtet.
Der Bauer Claushues, dessen Hof im Bereich der Stadt gelegen
hatte, musste seinen Standort wechseln und wurde umgesiedelt.
Auch die Güter Renneboem, Avering und Eising, die ihren Standort
ebenfalls innerhalb der Stadt oder im direkten Umfeld besessen
hatten, wurden beeinträchtigt. Die Bauern blieben in der
Stadt als Bürger sesshaft und verpachteten ihren Landbesitz. Die
umfassende Neustrukturierung des Raumes wurde dadurch
erleichtert, dass fast alle Wessendorfer Höfe über den Hof zu
Lohn zum Grundbesitz des Fürstbischofs von Münster gehörten,
der die Stadtgründung förderte.
Auf diese enge Verbindung von Bauerschaft und Stadt dürfte der
eigentümliche Umstand zurückzuführen sein, dass der Bauer
Claushues das ganze und die übrigen Wessendorfer das halbe
Stadtlohner Bürgerrecht verliehen bekamen. Sie wurden vermutlich
auf diese Weise für die Belastungen entschädigt, die sie
durch die Stadterhebung hinnehmen mussten. Sie unterstanden
nunmehr dem Stadtgericht Stadtlohn, dem ein Richter mit einem
Gerichtsschreiber vorstand und an dem die beiden amtierenden
Bürgermeister als Schöffen oder Beisitzer fungierten.
Der Rest des Kirchspiels Stadtlohn hatte seine Streitfälle vor dem fürstbischöflichen Gogericht des Gografen zum Homborn „unter dem Baken vor dem Eschtor“ zu verhandeln. An der Wessendorfer Mark, einer großen Fläche unkultivierten Landes, waren die Stadt zu vier Fünftel, die Bauerschaft zu einem Fünftel beteiligt. Ebenso wie die Städter trugen die Bewohner von Wessendorf nicht zu den Unterhaltskosten der Kirche und des Kirchhofes bei. In einem Schreiben vom 21. September 1616 heißt es in Bezug auf ihre Rechtsstellung: „Wasgestalt wir dero Wessendorfer Bauerschaft Eingesessenen jedes Mal vor undenklichen Jahr hero in Schatzungen und Verrichtungen und vorfallenden Kirchspiels- Auflagen und Beschwernissen den Stadtlohnschen Bürgern gleich gehalten sein und mit keinem weiteren Dienstbarkeiten oder Landfolgen mehr dann solche Bürger beladen oder beschweret worden, nicht dem Gografen, sonder Stadtlohnscher Richter in rechtlichen Sachen unterworfen, dem Herrn Archidiakon kein Sendkorn wie andere des Kerspels Baurleute zu zahlen, noch am Kirchhove die Mauern zu reparieren nicht schuldig, und dem Herrn Pastori und Küster kein Messkorn, sondern gleich einem Bürger zu Stadtlohn die jährlichen Schuldigkeiten, verrichten müssen.“(BAM, Vreden A 637.3) Zur Bauerschaft gehörten ursprünglich neben den parzellierten Höfen Lohn, Avering, Eising und Ronneboem die Güter Claushues, Wenning, Upgang, Döbbelt, Kamphues, Hilbert, Sahlmer, Hueske, Lansing, Vardebrecht, Bülsing, Garwert, Konert, Wilmer und Imming. In Hinblick auf ihre Größe galten Claushues, Wenning und Upgang zumeist als „ganze Erben“, Lansing, Garwert, Konert, Imming und Kamphues als „halbe Erben“ und Sahlmer, Hueske, Vardebrecht, Wilmer, Hilbert und Döbbelt als Pferdekötter, wobei in den Schatzungen je nach den wirtschaftlichen Bedingungen leichte Unterschiede zu verzeichnen sind. Der Hof Bülsing wurde Anfang des 16. Jahrhunderts geteilt und später als „Kotten Ortbrock“ bezeichnet.
1672 teilen die Wessendorfer dem Amtsdrosten in Ahaus mit, dass sie nicht verpflichtet seien, bei der Musterung der Kirchspielsbewohner anzutreten. „Daß wir in so weit vom Kirchspiel separiert und unter ein anderes partikular Geicht mit dem Wigbolt Stadtlohn notorie bestehen, wir auch mit den Stadtlohnischen Bürgern die halbe Bürgerschaft und uns mit denen ihrer Privilegien, Recht und Gerechsame zu erfreuen haben, auch unter dero Compagney-Offizieren und Fähnlein unsere Züge und Wachten leisten, wie dann tempore necessitatis einen sicheren (bestimmten) Ort auf des Stadts- und Wigbolds- Walle defendieren, selbigen in esse halten (Instand halten) und konservieren müssen“. (BAM, Vreden A 637.3) Die besondere Rechtsstellung der Bauerschaft Wessendorf bestand bis zur Einführung des französischen Verwaltungssystems im Jahre 1811, das die Stadt und das Kirchspiel Stadtlohn in einer Bürgermeisterei (Mairie) zusammenfasste. Diese Verwaltungseinheit behielten auch die preußischen Behörden nach 1813 zunächst bei. Erst 1837 endete nach der Einführung der „Revidierten Städteordnung“ mit der Amtseinführung des Bürgermeisters Karl Friedrich Holländer die gemeinsame Verwaltung der Bauerschaftsgemeinden des Kirchspiels bzw. Amts Stadtlohn und der Stadt Stadtlohn. Bei der Grenzziehung zwischen der Gemeinde Wessendorf und der Stadt Stadtlohn ergaben sich Probleme, da eine genaue Trennungslinie nicht bekannt war und das Grundsteuerkataster keine Unterschiede zwischen beiden Kommunen machte. Die Gemeinde Wessendorf wollte die Stadt auf das Gebiet innerhalb der früheren Stadtmauern beschränken, obwohl diese nicht mehr vorhanden waren und nur noch als ideelle Linie bezeichnen wurden. Selbst die Butenstadt sollte nicht mehr zur Stadt gehören. Die Stadt selbst forderte dagegen u.a. das Gebiet des so genannten Dufkampes als ehemalige Feldmark, wogegen die Wessendorfer argumentierten, die Stadt habe niemals eine Feldmark besessen. 1846 entschied die Regierung, „daß der Stadtwall, die Mauern und die sogenannte Butenstadt das Gebiet der Stadt begränzen“. Es war allerdings für die Stadt noch eine Entschädigung für den Hof Claushues festzulegen, da dieser ursprünglich zum Stadtgebiet gezählt wurde, obwohl er räumlich davon getrennt war. Am 22. Mai 1849 kam man zu einer Übereinkunft, die der Stadt das Gebiet des Dufkampes bis zur Brakstraße, der Butenstadt und eine größere Fläche im Süden (etwa bis zum Südring) überließ. In dem Gebiet außerhalb der eigentlichen Stadttore lebten zu dieser Zeit vor allem im Bereich der Dufkamp-, Esch-, Klosterund Vredener Straße bereits 78 Familien. Der Flächeninhalt der Stadt betrug nun 47 ha 66 ar. Die Einwohnerzahl der Stadt Stadtlohn ging in der zweiten Hälfe des 19. Jahrhunderts als Folge von Auswanderungen und wirtschaftlicher Not von 2425 im Jahre 1849 auf 2049 im Jahre 1890 zurück. Auch in Wessendorf sank die Zahl von 386 auf 352. Erst langsam brachte die beginnende Industrialisierung einen Wechsel zum Besseren. Schon 1863 gründete Heinrich Hecking auf städtischem Gebiet (im Bereich des heutigen Busbahnhofs) eine erste mechanische Weberei. Es folgten im Stadtgebiet die Firmengründungen von Hecking & Co. (1893) und Cohaus & Demes (1896). In Wessendorf, direkt an das Stadtgebiet anschließend, entstanden die Webereien von Witwe J. G. van Bömmel (1888) und eine zweite Weberei von Heinrich Hecking Söhne (1895). 1907 folgten der Bau der Spinnerei Hecking und der Zigarrenfabrik Gelsing. Die Ansiedlung von Fabrikarbeitern erfolgte zunehmend im Bereich von Wessendorf, so z. B. an der Blumenstraße, Engelstraße, Schlichthorststraße und der Feldstraße (später Sanssouci). Bis zum Jahr 1905 wuchs die Einwohnerschaft Stadtlohns auf 3150, die von Wessendorf auf 1313. Die aneinander grenzenden und ineinander übergehenden Wohngebiete führten zu zahlreichen Problemen. Um trotzdem eine geordnete Stadtentwicklung sicher zu stellen, wandte sich der Magistrat der Stadt Stadtlohn am 6. April 1898 bezüglich der Erstellung eines gemeinsamen Bebauungsplanes an das Amt Stadtlohn: „Da nun aber der Stadtbezirk sehr eng begrenzt ist und die Gemeinde Wessendorf an verschiedenen Stellen sogar an die Straßen der Stadt anschießt, so halten wir es für unbedingt erforderlich, daß der Plan auch gleichzeitig auf die Gemeinde Wessendorf ausgedehnt werde, um so die beiderseitigen Baufluchtlinien pp. einheitlich festzustellen“. Die Gemeinde Wessendorf lehnte dies zunächst wegen der zu erwar - ten den Kosten ab. Der Amtmann Koeper ergänzte aber: „Meiner Ansicht nach kann die Stadt vorläufig, ganz unbekümmert um Wessendorf, für ihren Bezirk allein einen Bebauungsplan anfertigen und würde die Gemein de Wessendorf dann bei der späteren Anfertigung eines solchen Pla nes für den die Stadt umgebenden Theil der Bauerschaft einen Anschluß an den städtischen Bebauungsplan sichern müssen.“ Der Bürgermeister der Stadt Stadtlohn, Vinzenz Cherouny, bat darauf den Landrat in der Angelegenheit das Notwendige zu veranlassen, „wenn etwas ordentliches geschaffen werden soll, dann muß der Plan gemeinsam und einheitlich aufgestellt sein, denn wenn die Stadt an der einen Seite der Straße geordnet und stricte nach dem Bebauungsplan arbeitet, während gegenüber nach Willkür und ohne jeden Anhalt gebaut wird, dann sind alle Mühen und Kosten vergebens.“ Am 20. Juli 1898 beschloss die Gemeindevertretung Wessendorf, mit der Stadt Stadtlohn bezüg lich der Aufstellung eines gemeinsamen Bebauungsplanes in Verbindung zu treten, doch wurde man sich über die Kosten nicht einig. Während die Stadt die Länge der zu regulierenden Straßen als Berechnungsgrundlage ansetzte, war die Gemeinde Wessendorf der Meinung, dass die Initia tive von der Stadt ausgegangen und sie selbst mit der Festlegung von Baufluchtlinien zufrieden sei, die wenig Kosten verursachten. Auch Versuche, die Erträge des geplanten Bahnhofs in diesem Zusammenhang zu verteilen, scheiterten.
Am 27. März 1899 beschlossen die Vertretungen der Stadt Stadtlohn und der Gemeinde Wessendorf in einer gemeinsamen Sitzung, jeweils getrennte Bebauungspläne auf eigenen Kosten zu erstellen. Im Oktober 1899 erteilte zunächst Wessendorf und anschließend die Stadt die entsprechenden Aufträge dem Vermessungsbüro R. Noelle in Münster. Schon im Januar 1900 war der Bebauungsplan für Wessendorf weitgehend fertiggestellt. Er bezog sich im wesentlichen auf die nach Vreden, Ahaus, Gescher und Südlohn führenden Hauptstraßen. Im September 1902 wurde er um den Bereich zwischen Stadt und Bahnhof ergänzt. Am 27. August 1906 beschloss die Stadtverordnetenversammlung von Stadtlohn auf Anregung ihres Magistrats die Probleme der Stadtentwicklung grundsätzlich zu lösen und die Erweiterung des Stadtgebietes durch Einverleibung eines Teils der die Stadt umschließenden Gemeinde Wessendorf anzustreben. Für die Verhandlungsführung wählte man eine Kommission, die aus folgenden Mitgliedern bestand: 1. Bürgermeister Vinzenz Cherouny 2. Magistratsmitglied Johann Spandern 3. Stadtverordneter Bernhard Holtz 4. Stadtverordneter Ferdinand Terrahe 5. Stadtverordneter August Jansen. Folgende Gründe lagen dem Antrag der Stadt auf Umgemeindung zugrunde. Der Stadtbezirk umfasste einen Flächeninhalt von 47,66 ha, der bis auf einen geringen Teil, der nicht bebauungsfähig war, vollständig besiedelt war. Eine weitere Ausdehnung der Stadt war somit ausgeschlossen. Nicht nur viele bauwillige Stadtbewohner waren gezwungen, die Stadt zu verlassen und sich in der unmittelbar angrenzenden Nachbargemeinde niederzulassen, auch die Industriebetriebe besaßen nur dort Entwicklungsmöglichkeiten. Die finanzielle Leistungsfähigkeit der Stadt wurde auf diese Weise reduziert. „Die Erweiterung des Stadtbezirks ist deshalb nicht nur in wirtschaftlicher Beziehung eine Notwendigkeit, sondern sie ist für die Stadt geradezu eine Existenzfrage.“ Man wies aber auch darauf hin, dass die Erweiterung im allgemeinen öffentlichen Interesse liege. Die zahlreichen und zunehmenden gemeinsamen Polizei- und Verwaltungsaufgaben der aneinandergrenzenden Kommunen führten zu unnötigem Aufwand und Kosten und ließen sich nach einer Umgemeindung leichter und vorteilhafter abwickeln. Auch geschichtliche Gründe wurden herangezogen. In alter Zeit seien Stadtlohn und Wessendorf stets zusammengehörig gewesen, wie in alten Urkunden nachzulesen sei und auch die Katasterbezeichnung Stadtlohn- Wessendorf lasse die enge Beziehung leicht erkennen. Schließlich profitiere die Gemeinde Wessendorf ebenfalls von der Neuordnung. Es entfielen die infolge der Entwicklung der Industrie notwendigen neuen Verkehrs- und Beleuchtungsanlagen, die Erweiterung der Verwaltung und zusätzliche Kosten für das Schul- und Armenwesen. Man forderte die Gemeindevertretung Wessendorf auf, der gewünschten Umgemeindung keine Schwierigkeiten in den Weg zu legen und für die notwendigen Verhandlungen ebenfalls eine Kommission zu bestimmen. Am 15. August 1906 erfolgte eine Begehung des für die anstehenden Eingemeindungsverhandlungen in Frage kommenden Terrains, an der von der Gemeinde Wessendorf neben dem Amtmann Mathias Schanz folgende Personen teilnahmen: 1. Amtsbeigeordneter Weddeling-Thering 2. Gemeindevorsteher Holtkamp gt. Claushues 3. Gemeindeverordneter Fabrikant Albert Demes 4. Gemeindeverordneter Zeller Wilmer 5. Gemeindeverordneter Zeller Lembeck. Am 24. September 1906 beschloss der Gemeinderat Wessendorf einstimmig, in die Eingemeindungsverhandlungen mit der Stadt einzutreten und beauftragte die vorgenannten Personen als Kommission mit den vorbereitenden Beratungen. Am 12. November 1906 traten die Eingemeindungskommissionen zu ihrer ersten Sitzung im Lokale Schöning zusammen. Die Vertreter Wessendorfs waren im Prinzip mit der Abtretung einer an die Stadt angrenzenden Fläche einverstanden. Sie schlugen folgenden neuen Grenzverlauf vor: Von der Berkel im Osten entlang der Bahnlinie im Süden bis zur Vredener Straße im Westen, von dort über Wennings Stiege bis zur Berkel. Nördlich der Berkel wurden der Bereich des Steinkamp und des Helmert einbegriffen, bevor die Grenze wieder entlang der Berkel bis zur Bahnlinie verlaufen sollte. Bahnhof und Bahnanlagen sollte bei der Gemeinde Wessendorf verbleiben. Die im Bereich des Eingemeindungsgebietes anstehenden Neubauten der Zigarrenfabrik Gelsing und der Spinnerei Hecking sollte bei der Höhe der Entschädigung für ausfallende zukünftige Steuereinnahmen berücksichtigt werden. Die Kommission der Stadt war mit dem vorgeschlagenen Grenzverlauf weitgehend einverstanden. Nur im Bereich des Lohner Esches, beiderseits der Straße nach Südlohn, wünschte man weitere Flächen bis etwa in Höhe der Bakenstraße. Diese offene Frage wurde zunächst ausgeklammert und bis zu weiteren Verhandlungen zurückgestellt. In dem Gebiet, über das Einigkeit bestand, lebten zu diesem Zeitpunkt 717 Personen, im strittigen Gebiet nur 18. Die Verhandlungen gerieten in den folgenden Monaten ins Stocken, da man schon bei der Beschlussfassung über ein Protokoll der Sitzung vom 12. November 1906 unterschiedlicher Meinung war. Hauptstreitpunkt war die Höhe der Entschädigungszahlung die Frage welche Faktoren darin einfließen sollten. Die Gemeinde Wessendorf stellte dabei in Aussicht, auf eine direkte Zahlung zunächst verzichten zu wollen und sich für zehn Jahre mit Zinszahlungen zu begnügen. Am 21. November 1907 kam es im Restaurant Sonntag (Bahnhof) in Stadtlohn unter Leitung des Landrates von Schorlemer-Alst und im Auftrage des Regierungspräsidenten zu einen weiteren Verhandlungstermin, um die zukünftigen Grenzen festzulegen. Die Vertreter Wessendorf gaben nunmehr bekannt, sich mit der Abtretung des strittigen Gebietes im Esch nur unter der Vorraussetzung einverstanden zu erklären, dass die Stadt auch den Bahnhof übernehme. Die Vertreter der Stadt wollten sich dazu erst äußern, wenn eine die Entscheidung über eine Übernahme der Nordbahn durch den Staats entschieden sei. Man entschied, zunächst das notwenige, umfangreiche statistische Material zusammenzutragen, um die zukünftigen steuerlichen Ausfälle der Gemeinde Wessendorf, des Kirchspiels und des Amtes Stadtlohn z. B. an Umsatz-, Bier-, Lustbarkeits-, Einkommens-, Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuer zu ermitteln und eine Vorstellung über die Höhe der zu zahlenden Entschädigung zu erhalten und sich dann erneut zu treffen. Am 1. Februar 1908 gab Amtmann Schanz dem Landrat einen Überblick über die finanziellen Verhältnisse der Gemeinde Wessendorf für den Zeitraum der vorangegangenen zehn Jahre. Er war der Überzeugung, dass die Vertreter der Gemeinde Wessendorf und des Amtes Stadtlohn eine Gebietsabtretung zustimmen würden, wenn eine Entschädigungssumme von etwa 150000 Mark der Stadt die Steuerlast der Restgemeinde durch die Zinseinkünfte langfristig niedrig halten würde. Bürgermeister Cherouny von der Stadt forderte zunächst den Entwurf eines Haushaltsetats der zukünftigen Restgemeinde Wessendorf, um deren Belastungen durch die Verkleinerung ermitteln zu können. Am 25. November 1908 wies der Magistrat der Stadt die Vorstellungen der Gemeinde Wessendorf über die Höhe der Entschädigung zurück. Diese würde durch die Umgemeindung ein „gutes Geschäft“ machen und die verbleibenden Wessendorfern gegenüber den in die Stadt eingemeindeten dauerhaft durch niedrigere Steuersätze bevorteilt. „Letztere werden sich für diese ungleiche Behandlung höflichst bedanken und mit Recht gegen ihre Abschiebung zur Stadt ohne Zuwendung eines Anteils an dem Vermögen und den Einkünften der Gemeinde Wessendorf – die Restgemeinde, der Amts- und Landgemeinde Verband nehmen die ganze Entschädigung für sich in Anspruch – protestieren.“ Dabei würde übersehen, dass der Gemeinde Wessendorf und dem Amt Stadtlohn durch die Umgemeindung auch Lasten abgenommen würden. Eine im öffentlichen Interesse vorgenommene Bezirksveränderung bewirke keine Entschädigungsansprüche. Jeder Verwaltungsbezirk habe seine eigenen Lasten zu tragen und keiner habe das Recht, von einem anderen unterstützt zu werden. Zudem gebe die Gemeinde Wessendorf nur das zurück, was der Stadt bis in die allerletzte Zeit noch besessen habe. Alle Industrieansiedlungen in Wessendorf seien durch das Vermögen städtischer Bürger vorgenommen worden und beinahe alle Bewohner des einzugemeindenden seien aus der Stadt zugezogen. Aus Billigkeitsgründen erklärte sich die Stadt bereit, eine Entschädigung von 40000 Mark an die Gemeinde Wessendorf zu zahlen, die ihrerseits das Amt und das Kirchspiel Stadtlohn zufriedenzustellen habe. Amtmann Schanz lehnte den städtischen Vorschlag am 16. Dezember 1908 ab und schlug vor, das der Eingemeindung vorangehende Rechnungsjahr als Grundlage für die Entschädigung zu nehmen und diese so hoch zu bemessen, dass die Steuersätze der Restgemeinde Wessendorf, des Amtes und des Kirchspiels Stadtlohn gleich blieben. Damit läge der Schwerpunkt der Entschädigung nicht bei der Gemeinde Wessendorf, sondern bei den anderen Gemeindeverbänden. Die Umgemeindung könne dann auch nur am 1. April, dem Ende des Rechnungsjahres vollzogen werden, um zu einer klaren Abrechnung zu kommen. Am 23. März 1909 erschien der Kommunal-Referent Regierungsrat Dr. Kaempf auf dem Bürgermeisteramt in Stadtlohn, um mit beiden Seiten zu verhandeln. Nach weiteren Vorgesprächen konnte am 19. November 1909 im Hotel Sonntag an der Dufkampstraße in Stadtlohn schließlich eine Einigung erzielt werden. Amtmann Mathias Schanz hatte inzwischen die Verhandlungsseite gewechselt, da er am 27. Mai 1909 zum Bürgermeister der Stadt Stadtlohn als Nachfolger von Vinzenz Cherouny gewählt worden war und am 11. Juli 1909 sein neues Amt angetreten hatte. Wilhelm Bohnenkamp übernahm am 27. Juli 1909 die Leitung des Amtes Stadtlohn. Das Stadtgebiet wuchs zum 1. April 1910 um 130 ha auf einen Flächeninhalt von nunmehr rund 178 ha an. Mit dem eingemeindeten Gelände gelangten rund 1000 Einwohner, 140 Wohnhäuser, 1 Arrestgebäude, 2 Webereien, 1 Spinnerei, 1 Zigarrenfabrik, 2 Windmühlen, 2 Sägewerke und 1 Zementwarenfabrik zur Stadt. Die Einwohnerzahl der Stadt wuchs durch die Eingemeindung von 3056 im November 1909 auf 4082 am 1. April 1910. Die Stadt Stadtlohn verpflichtete sich, der Gemeinde Wessendorf eine Entschädigung von 15000 Mark, dem Verband der Landgemeinden des Kirchspiels Stadtlohn aber als Ausgleich für die geschwächte Steuerkraft Wessendorfs eine Entschädigung von 50000 Mark zu zahlen. Die Entschädigungen waren am Tage der Eingemeindung in bar zu übergeben. Schließlich musste die Stadt Stadtlohn innerhalb von zwei Jahren eine Umnummerierung aller neuen Gebäude vorzunehmen. Die endgültige Unterzeichnung des Vertrages durch die Vertretungen der Stadt Stadtlohn und der Gemeinde Wessendorf erfolgte am 20. Juni 1910.